Projekttheater: Ein schöner Hase ist meistens der Einzellne

Die neue Produktion des Projekttheaters auf den Spuren zweier Protagonisten aus dem Haus der Künstler in Gugging bei Wien.

Eine Geschichte zweier Geisteskranker? Eine Geschichte der gesellschaftlichen Enteignung?
Eine Revolutionsgeschichte? Oder eine Geschichte zweier genialischer Künstler?

Alles davon!

Ernst Herbeck und August Walla verbrachten große Teile ihres Lebens als Psychiatriepatienten. Beide wurden zu gefeierten Künstlern. Im Stück stehen sie da und schweigen. Es sind die sie umgebenden Stimmen, Blicke und Zeiten, die sie vernichten und erschaffen: als Kranke, Produkte oder Genies. Der stumme Einzeller des Wahnsinns gibt immer einen schönen Hasen ab.

Das Stück
„Ein schöner Hase …“ ist zunächst ein biografisches Stück und widmet sich dem Leben und Schaffen zweier realer Personen: Ernst Herbeck (1920 – 1991) und August Walla (1936 – 2001). Beide verbringen als schizophrene Patienten Jahrzehnte ihres Lebens in der Nervenheilanstalt Gugging bei Wien. Beide avancieren in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zu renommierten Künstlern. Herbeck als Dichter, der insbesondere von der österreichischen Nachkriegsavantgarde gefeiert wird; Walla als einer der bedeutendsten Repräsentanten der internationalen Art Brut.

Autor Philipp Weiss, vom Projekttheater mit der Erarbeitung des Stückes betraut, über „Ein schöner Hase ist meistens der Einzellne“:
„Es ist ein Theater der Stimmen. Es erzählt zwei Leben, die stumm verlaufen: im Zustand der Isolation. Die Protagonisten schweigen. Sie bleiben im Dunklen jenes Ortes, der ihnen zugewiesen wurde – und damit in der Unvermittelbarkeit. Erzählen können nur jene Stimmen der Vernunft, die sich um ihre Leben ranken, jene, die über sie sprechen. Auf diese Weise entsteht eine dramatische Doppel-Biographie, in der die biographischen Figuren eine Leerstelle bleiben. Sie können nur über die Ränder bestimmt werden, die durch jene Reden entstehen, die eben diese Leerstelle umgeben, die sie bestimmen, vereinnahmen, deuten, umdeuten, erschaffen und verwerfen. Dem entgegen steht allein die Präsenz ihrer Körper. Und allem voran: ihr künstlerisches Werk.“

Als Ausgangspunkt seiner literarischen Arbeit diente Philipp Weiss neben den Werken der beiden Protagonisten eine Fülle an dokumentarischem Material: Krankenakten, Gerichtsakten, psychiatrische Fachzeitschriften und Bücher aus unterschiedlichen Zeiträumen, Kunstdiskurse, Video- und Filmmaterial, Interviews und Recherchen im Landeskrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie sowie im Haus der Künstler in Gugging bei Wien.

Welche Geschichte von Ernst Herbeck und August Walla will das Stück erzählen? Eine der Geisteskranken? Eine der gesellschaftlichen Opfer? Eine der Heroen, die gegen die gewalttätige symbolische Ordnung aufbegehren? Eine zweier genialischer Künstler? Alles davon! Nebeneinander, buhlend, übereinander, einander verdrängend.

Philipp Weiss: „Es geht in dem Stück um die Macht einer Sprache, die nicht bloß Definitionsmacht ist, vielmehr um eine solche, die einschreitet. Eine Sprache, die ein Akt ist, der in die Welt eingreift und sie formt. Walla und Herbeck sind verschiedenen solcher sie erschaffenden Reden unterworfen. Sie sind Besprochene. Als schizophrene Anstaltspatienten gehören sie seit Beginn ihrer Krankengeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus zu jener Gruppe der Randständigen und gesellschaftlich Anderen, über die bestimmt und für die gesprochen wird. Dieser Enteignung und ihren Kontinuitäten durch die Verläufe zweier Leben, durch verschiedene Ideologien und Zeiten hinweg spürt dieses Stück nach.

Das Stück gliedert sich in fünf formal unterschiedliche Akte, die in einem chronologischen Verlauf zentrale Lebensabschnitte der beiden Protagonisten ins Blickfeld nehmen. Von den Euthanasieanstalten der Nazis, über die entmündigende Zwangspsychiatrie der Nachkriegszeit bis zur Entdeckung und Verklärung der Künstlerexistenzen sowie der posthumen Verwertung ihres Schaffens. In jedem Akt sind es andere Stimmen, die die beiden Figuren in wechselnder Art und Weise „besprechen“: Monologe, Dialoge, abstrakte Sequenzen. „Das Stück eröffnet ein Spektrum dramatischer Mittel, deren einzig Gemeinsames die Rede über ist“, so Philipp Weiss.

Über Ernst Herbeck und August Walla
Ernst Herbeck war 45 Jahre lang Patient in der Niederösterreichischen Landesnervenklinik Gugging. Er wurde mit einer die Sprechfähigkeit stark beeinträchtigenden Lippen-Kiefer-Gaumenspalte geboren. Unter Anleitung seines Arztes Leo Navratil begann Herbeck Gedichte zu schreiben. Bekannt wurde er ab 1977 mit Veröffentlichungen unter dem Pseudonym Alexander. Anders als seine Künstlerkollegen in Gugging, Johann Hauser, August Walla und Oskar Tschirtner, die mit ihrer Malerei zu herausragenden Künstlern der Art Brut avancierten, suchte Ernst Herbeck den künstlerischen Ausdruck in Gedichten. „Herbeck hat stets nur auf Wunsch und meist nur nach Angabe eines Titels geschrieben. Änderungen und Korrekturen an seinen Texten nahm er nur während deren Entstehung vor, nachher nicht mehr“, schrieb Navratil über die Arbeitsweise Herbecks.

Der SPIEGEL-Reporter Fritz Rumler porträtierte Ernst Herbeck 1977 so:
(…) Statt „Augenhöhle“ schreibt er „Augenhöhe“, der „Einzelne“ heißt bei ihm „Einzellner“, die Quelle ist „ein Berg von Lufthass“, und so sieht er das Leben: „Ein bissen aufpassen. und / langsam scheiden. So ist. / das möchte ich haben. Ja / so schneiden.“ Der schizophrene Dichter Ernst Herbeck ist ein scheuer, schmächtiger Mensch von 57 Jahren. Er steckt in einem viel zu großen grauen Anzug, vergräbt die verkrampften Hände in den Jackentaschen und spricht nur, wenn er gefragt wird. Er scheut das Sprechen. Ein mehrfach operierter Geburtsfehler, Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalte, macht seine Rede zu einem verwischten Raunen. In einem Gedicht schrieb er: „Nicht jeder Mensch hat einen Mund / mancher Mund ist disqualifiziert / oder operiert. So wie bei mir …“

August Alois Walla kam 1936 in Klosterneuburg als Sohn einer alten Mutter zur Welt, die als stadtbekannte Außenseiterin galt. Sie erzog ihn bis zu seiner Pubertät als Mädchen, um ihm den Kriegseinsatz zu ersparen. Walla kämpfte in der Folge sein Leben lang mit Identitätsproblemen.

Schon in frühester Jugend begann Walla künstlerisch zu arbeiten: als Zeichner, Maler und Photograph. In seiner Kunst vereinnahmte er seine Umgebung, indem er auf Gegenständen (auch an Häusern oder Bäumen) erfundene und existierende Symbole, sowie götterähnliche Wesen malte. Figuren und Symbole finden sich in allen seinen Werken. Er schuf damit einen abgeschlossenen mythologisch-künstlerischen Kosmos, ein um sich selbst kreisendes Universum. 1983 holte Leo Navratil, Leiter und Begründer des „Zentrums für Kunst-Psychotherapie“, Walla und seine 87-jährige Mutter nach Gugging.

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Ein schöner Hase ist meistens der Einzellne

von Philipp Weiss
mit Texten von Ernst Herbeck und August Walla

Regie & Ausstattung: Susanne Lietzow

Es spielen: Dietmar Nigsch und Peter Badstübner

Video: Petra Zöpnek | Videoton: Gilbert Handler | Masken: Julia Beyer
Produktionsassistenz: Anja Zehetgruber | Produktionsbetreuung: Maria Hofstätter
Video/Stimmen: Sylvia Bra, Maria Hofstätter, Florentin Groll, Sebastian Pass, Martina Spitzer u. v. a.
Support: Marie Luise Lichtenthal

Termine
Uraufführung: Donnerstag, 12. Dezember 2013, 20:00 Uhr
Weitere Vorstellungen: 13. / 14. / 15. / 16. / 17. Dezember 2013, 20:00 Uhr
Ort: Altes Hallenbad Feldkirch, Reichenfeldgasse 10, 6800 Feldkirch
Kartenreservierung & Informationen: karten@projekttheater.at | T +43 (0) 699 10 61 62 51
Theatermontag: 2 kommen, 1 zahlt: Montag, 16. Dezember 2013
Wien-Gastspiel: Montag, 31. März – Mittwoch, 2. April 2014, Schauspielhaus Wien
www.projekttheater.at | www.facebook.com/Projekttheater

Pressekonferenz mit Szenenvorschau für Fotografen: Freitag, 6. Dezember, 10:00 Uhr,
Altes Hallenbad Feldkirch, Reichenfeldgasse 10, 6800 Feldkirch