WIENWOCHE 2014: Erfolgreiche Nachhilfearbeit

15 Projekte schärften die Sinne für ermächtigende Aspekte der Migration. Ein Rückblick…

Einen fulminanten Ausklang fand WIENWOCHE 2014 vergangenen Sonntag mit dem glamourösen „Gazino Royal Viyana“ im Vindobona. Imran Ayata und Bülent Kullukcu moderierten einen launigen Streifzug durch die Musikkultur der Gastarbeiter_innen. Auftritte von Ata Canani, Bahtiyar Eroglu und des Berliner Bauchtänzers Cihangir setzten nochmals viele Rufzeichen hinter das diesjährige WIENWOCHE-Motto „Migrazija-yeah-yeah“.

Mit dem Gazino ging nach rund zwei Wochen ein facettenreiches Programm zu Ende. 15 Projekte präsentierten einen Mix aus Ausstellungen, Musik, Aktivismus, Diskussionen, Doku-Theater und Film. Sie fokussierten, analysierten und feierten den durch Migration vorangetriebenen gesellschaftlichen Wandel: kontrovers, ausgelassen, utopisch. Ein heterogenes Publikum, wie es in Wiens Kulturszene sonst selten vorzufinden ist, nahm die Impulse auf und schärfte seine Sinne für die ermächtigenden Aspekte der Migration. Die insgesamt 25 Veranstaltungen erfreuten sich durchwegs eines großen Besucher_innenzuspruchs, viele der WIENWOCHE-Locations zwischen Simmering und Ottakring gerieten deshalb an ihre Kapazitätsgrenzen.

Bereits am Samstag, 27. September boten Asylwerber_innen und Migrant_innen ohne Papiere, Arbeitslose und Menschen in prekären Lebenssituationen ihre Fähigkeiten beim Tauschmarkt „Migrationale“ in der Brunnenpassage feil. Unter dem Motto „Wir bitten nicht, wir bieten“ experimentierte diese Initiative mit der Möglichkeit, Tauschnetzwerke als wirtschaftliches Standbein für Personen nutzbar zu machen, die vom Arbeitsmarkt durch rechtliche oder faktische Hürden ausgeschlossen bleiben. Besonderes Augenmerk galt dabei der Ausweitung persönlicher Netzwerke. Gerade Asylsuchende und Illegalisierte sind mangels institutioneller Angebote oft auf die Unterstützung ihres Umfelds angewiesen. „Dabei ist längst klar, dass soziale Mobilität vor allem von der Vielschichtigkeit der verfügbaren Netzwerke abhängt“, sagt Radostina Patulova vom WIENWOCHE-Leitungsteam.

Unter dem programmatischen Titel „Stay.Love.Resist.“ stellte das „Protest Productions Collective“ drei Kurzfilme im Schikaneder-Kino vor. Mit besonderer Begeisterung nahm das Kinopublikum dabei einen Film des Genres „Sicherheitsanweisungen durch das Flugpersonal“ auf. In dem Clip, der in Kürze auch online verfügbar sein wird, unterweist eine Flugbegleiterin die Fluggäste in lebensrettende Maßnahmen gegen eine drohende Abschiebung. Im Abspann werden zahlreiche Fälle genannt, bei denen es den Betroffenen gelang, die Abschiebung zu verhindern und in Folge ihr Bleiberecht durchzusetzen.

Das Tabu-Thema Migration und Kriminalität griff die Häfnrevue „Über Grenzen und Mauern“ des Chors „Hor 29 Novembar“ im Fluc auf. Eine Kooperation mit eipcp und dem Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS). Sie zeichnete Migration als Bestandteil einer globalen Verwertungskette nach, die Migrant_innen als Illegalisierte in Schattenökonomien oder als Verurteilte in den Gefängnissen ausbeutet. Die Recherchen zu diesem Projekt hält eine Beilage im „Augustin“ und in Kürze auch ein Online-Journal des eipcp zum Nachlesen bereit. In der Bunkerei im Augarten dominierte hingegen die Farbe Pink. Die Gäste des Liebesfestes „Love Migration“ gaben ein gemeinsames Bekenntnis zu Liebe und Migration ab. Mit Versatzstücken einer Hochzeit feierten binationale Partner_innen und NGOs gemeinsam mit solidarischen Menschen ein Fest und tankten Kraft für den beschwerlichen Alltag.

Zuvor diskutierten in der Architekten-Kammer Architekt_innen, Autor_innen und Aktivist_innen die ethischen Grenzen der Planung. Am Beispiel des Schubgefängnisses in Vordernberg (Stmk.) erörterten die Diskutant_innen die Gratwanderung zwischen ethischer Verantwortung und ökonomischen Sachzwängen. Eine Herausforderung, der sich in einer markdominierten Gesellschaft nicht nur diese Berufsgruppe stellen muss, so Petja Dimitrova vom WIENWOCHE-Leitungsteam: „Klar wurde, dass der Planlosigkeit des Marktes Sektor-übergreifende Allianzen entgegengestellt werden müssen, wenn wir gegen das Recht des Stärkeren aufbegehren und neue politische Handlungsfähigkeit gewinnen wollen.“

In der Szene Wien präsentierten junge Migrantinnen Musikstücke über Hindernisse das Alltags, das sie in Workshops über den Sommer einstudiert hatten. Dass Hip-Hop unter Simmerings Jugendlichen nach wie vor erste Wahl ist, zeigten die Teilnehmer_innen bereits in der Bim-Sonderfahrt von der Wiener Börse in die Szene, die ein schönes Sinnbild für die Verteilung von Lebenschancen zwischen Zentrum und Peripherie abgab. Barbara Staudingers Intervention „moving museum“ lockte zahlreiche Besucher_innen ins Jüdische Museum Wien, ins Weltmuseum Wien und ins Wien Museum. Mit einfachen Eingriffen durchbrach das Projekt die impliziten Identitätskonstruktionen dieser Gedächtnisorte und irritierte das in den Ausstellungen präsentierte „Wir“.

Den Erfolg sozialer Kämpfe von Gastarbeiter_innen feierte die szenische Erzählung „Gaygusuz gegen Österreich“ im Schauspielhaus; die queere Szene etablierte mit dem WKR-Ball einen Antifaschismus mit Augenzwinkern; das Buchprojekt „WIENerWARTEN“, präsentiert in der Wienbibliothek im Rathaus, thematisierte eine migrantische Grunderfahrung: das Warten. Die von „Proll Positions“ verlegte „Edition 44mm“ veröffentlichte mit „Millions of Migrations“ 44 utopische Bücher zum Thema Migration, die es noch zu schreiben gilt. „Migration Messages“ im WUK versammelte Perspektiven und Forderungen Schwarzer Menschen zu einer Werkschau. Im Rahmen der Kampagne „Stell dich nicht so an – Stell mich an!“ des Vereins Goldenes Wiener Herz informierten als Promoter_innen angestellte Bettler_innen Hunderte von Wiener_innen auf Augenhöhe über ihre Lebensumstände. Cineastische Leckerbissen und Diskussionen über Zugänge zur heimischen Filmbranche bot die zweiteilige Reihe „Heimatfilm vs. World Cinema“.

„Unsere Hoffnung ist es, dass eines Tages auch das Burgtheater oder die Seefestspiele Mörbisch ein derart diverses Publikum wie WIENWOCHE willkommen heißen“, meint Can Gülcü vom Leitungsteam. Er verweist damit – je nach Blickwinkel – auf die Zwänge oder Chancen, die der gesellschaftliche Wandel für Kulturinstitutionen aufwirft.

Nach einer kurzen Verschnaufpause wird WIENWOCHE Anfang Dezember den nächstjährigen Schwerpunkt präsentieren und sich mit einer Ausschreibung an interessierte Kulturschaffende wenden. Bis dahin heißt es vom Leitungsteam: „Danke an das ganze Team, an alle Projektbeteiligten sowie Besucher_innen von WIENWOCHE 2014 für die spannende Zeit – und noch einmal: Migrazija-yeah-yeah!“

Ein Best-of von Fotos zu WIENWOCHE 2014 finden Sie zum Download in Druckqualität unter https://www.flickr.com/photos/wienwoche/sets/72157647754005408/ (Abdruck/Verwendung honorarfrei gegen Urhebervermerk)