Stopp dem Ärzte-Bashing!

Ärztinnen und Ärzte sind nicht die Sündenböcke, sondern Leidtragende einer Gesundheitspolitik ohne vorausschauende Planung.

Korneuburg – „Österreichs Ärzteschaft ist wieder einmal Ziel einer von Bundes- und Landespolitik, von Sozialversicherungsträgern und Medien vorangetriebenen Kampagne. Die alte Platte von der gierigen Berufsgruppe und ihrer veränderungsresistenten Standesvertretung läuft in Dauerrotation“, ärgert sich Dr.in Martina Hasenhündl, leidenschaftliche Kassenärztin, Kurienobfrau der niedergelassen Ärzt*innen und Vizepräsidentin der Ärztekammer Niederösterreich.

Was in der aufgeheizten Debatte gerne vergessen werde, sei die Arbeitsrealität der Kassenärztinnen und -ärzte. Vor der Umsetzung des Ärztearbeitszeitgesetzes sei es für die Berufsgruppe selbstverständ­lich gewesen, dass ihre Überstunden die Sollstunden einer durchschnittlichen Vollzeitarbeitskraft überflügelt haben, erläutert Hasenhündl und fährt fort: „Seit das Gesetz in Kraft ist, haben sich die Überstun­den ein wenig verringert, doch der Mangel an Ärztinnen und Ärzten verschärft sich. Das liegt nicht zuletzt an der Tatsache, dass die Mediziner*innen aus der Boomer-Generation in den Ruhestand treten und viel zu wenig Ärztinnen und Ärzte aus jüngeren Generationen nachrücken“, meint Hasenhündl.

„Politische Verantwortungsträger*innen in Tateinheit mit ÖGK-Funktionär*innen haben viel zu lange die demographischen Tatsachen verleugnet und darauf gebaut, die Nachfrage nach Kassenstellen wäre unter Jungmediziner*innen ungebrochen. Zugleich ignorieren sie die veränderten Bedürfnisse von Ärztinnen und Ärzte nach flexibleren, familienfreundlicheren Arbeitszeiten und einer gesünderen Work-Life-Balance“, kritisiert Hasenhündl.

Durchschaubare Huss-Tiraden

Aus dem Konzert der Vereinfacher töne eine Stimme besonders unangenehm heraus, jene von Andreas Huss, dem Obmann der ÖGK, meint Hasenhündl. Er geriere sich als selbsternannter Retter des heimischen Kassensystems, entpuppe sich in seinen öffentlichen Wortspenden jedoch als Sterbehelfer desselben. „Schwimmen der Österreichischen Gesundheitskasse die Felle davon und wird sie mit dem eigenen Planungsversagen konfrontiert, dann reitet Huss verlässlich zum rhetorischen Ablenkungs­manöver aus. Und es sind stets die Ärzteschaft oder die Ärztekammern, die er als Sündenböcke durchs mediale Dorf treibt“, sagt Hasenhündl. Sie wundere sich, dass auch politische Verantwortungs­träger*innen in Bund und Land diesen durchschaubaren Huss-Tiraden Rückenwind verleihen.

„Als Kurienobfrau warne ich davor, die Arbeit der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte durch karge Honorare, durch jedweder Work-Life-Balance spottende Verträge oder durch Bevorzugung von PVE gegenüber Gruppenpraxen und Einzelordinationen zu erschweren. Das von der ÖGK, aber auch vom Gesundheitsminister forcierte Wahlärzte-Bashing löst die Nachwuchsprobleme des anachronistisch organisierten Kassensystems jedenfalls nicht“, ist Hasenhündl überzeugt. Eine Berufskarriere in kooperativen Settings, mit fairer Teilung von Erwerbs- und Familienarbeit, sei der Wunsch vieler Jungmediziner*innen. Deshalb könne nicht einfach ein*e Kassen*ärztin durch eine*n andere*n ersetzt, sondern müssten die Vertragsstellen viel flexibler ausgestaltet werden.

„Nicht erst seit der Pandemie sind es vielerorts die Wahl*ärztinnen, die eine wohnortnahe medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherstellen, während die ÖGK mit wenig tauglichen Mitteln ihre vakanten Stellen vermarktet. Viele Kolleg*innen haben es satt, als Marionetten der ÖGK zu agieren, und kündigen ihre Kassenverträge. Nicht zuletzt deshalb, weil das enorme Patient*innen-Aufkommen und der hohe Arbeitsdruck eine einfühlsame und individuelle Betreuung der einzelnen Person erschweren“, beklagt Hasenhündl.

Positive Anreize statt Drohkulisse

Vielleicht lasse sich die Blindheit der Politik und der ÖGK gegenüber dem eigene Versagen ja heilen und gegen einen respektvollen und lösungsorientierten Umgang tauschen, hofft Hasenhündl und fragt: „Wo bleiben die Initiativen und positiven Kampagnen der ÖGK, um Wahlärzt:innen, aber auch Student*innen sowie Mediziner*innen im Turnus bzw. in der Facharztausbildung für Kassenstellen zu begeistern? Verlieren wir durch die rigiden Zugangsbeschränkungen zum Medizinstudium nicht eine Vielzahl für den Arztberuf geeigneter Menschen? Fällt der Politik, konkret dem burgenländischen Landeshauptmann, nichts Anderes ein, als frisch promovierten Mediziner*innen mit der Zwangsver­pflichtung in Landeskliniken zu drohen – und dabei zu unterschlagen, dass Ärzt*innen in Turnus und Fachausbildungen schon jetzt das unterbezahlte Rückgrat der intramuralen Versorgung darstellen?“

Um eine für alle Menschen in Österreich zugängliche ärztliche Versorgung langfristig abzusichern und das Berufsbild Kassenarzt / Kassenärztin zu attraktivieren, fordert Hasenhündl von Politik und ÖGK:

  • Entschlossener Ausbau von Kassenstellen, auch in flexibleren Organisationsformen
  • Zugleich faire Erhöhung der Kassenhonorare, damit mehr Zeit für die/den einzelne/n Patient*in bleibt und das ärztliche Einkommen nicht allein durch die Menge der Patient*innen bestritten werden muss
  • Keine Honorarabschlüsse zwischen Ärztekammern und der ÖGK unter der Inflationsrate
  • Valorisierung aller seit Jahren gleich bezahlten Leistungen und jährliche Inflationsanpassung aller Honorarpositionen (z. B. für Schutzimpfungen)
  • Ausbau der Kassenplanstellen, insbesondere in den Mangelfächern Kinderheilkunde und Allgemeinmedizin
  • Breitere Zugangsmöglichkeiten zum Medizinstudium, bessere Finanzierung und Ausweitung der Praktikumsmöglichkeiten in Kassenordinationen.